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Laudatio für Dr.-Ing. Alexander Böhmer
 
Rede von Herrn Dipl.-Ing. Hans-Peter Lang, Vorsitzender des Beuth-Ausschusses der DMG, auf der DMG-Jahrestagung in Kassel am 13. Okt. 2006 anlässlich der Verleihung des Beuth-Innovationspreises 2005
 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

zum ersten Mal fällt mir in diesem Jahr als Vorsitzender des Beuth-Ausschusses die ehrenvolle Aufgabe zu, einen jungen, engagierten und zielstrebigen Kollegen mit dem Beuth-Innovationspreis auszuzeichnen. Dies ist mir eine umso größere Freude, als es sich bei Dr. Alexander Böhmer um einen hochkarätigen Wissenschaftler handelt, dessen breit gefächertes Wissensspektrum es ihm erlaubt, neue Denkansätze zu entwickeln, die für Bahnbetreiber und Herstellerindustrie gleichermaßen wertvoll sind.

Mit knapp 34 Jahren hat mein junger Kollege bereits eine bemerkenswerte wissenschaftliche Karriere hinter sich. Wie so oft in der Vita von Wissenschaftlern ist auch beim Blick auf den Werdegang von Dr. Böhmer die Liebe – oder nennen wir es vielmehr wissenschaftliche Neigung – zu einem bestimmten Thema augenfällig. In seinem Fall ist es das Rad-Schiene-System, dem bereits in vielfältiger Hinsicht sein Forschungsinteresse gegolten hat. So widmete er nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Berlin schon seine Diplomarbeit der Untersuchung der plastischen Deformation bei verriffelten Schienenlaufflächen. Diese hervorragende Arbeit wurde durch den Fachbereich „Verkehrswesen und angewandte Mechanik” der TU Berlin ausgezeichnet. Der Diplomarbeit vorangegangen war die Mitarbeit in verschiedenen Forschungsprojekten, die Dr. Böhmer erste umfassende Erfahrungen in der genannten Thematik sammeln ließen. Konsequent befasste er sich auch nach seinem Studium während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Rad/Schiene-System. Die Mitarbeit in den Forschungsprojekten „OPTIKON – Werkstoffoptimierung des Rad/Schiene-Systems im Hochleistungsverkehr”, „SFB 605 – Elementarreibereignisse” sowie „Rad/Schiene und Rad/Rolle” legte sicherlich einen Grundstein für seine von uns zu beurteilende herausragende Dissertationsarbeit. Seine profunden wissenschaftlichen Kenntnisse hat Dr. Böhmer bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Dozent an Studierende weitergegeben. In der aktuellen Station seines Berufslebens als Mitarbeiter des Goodyear Technical Centers in Luxemburg stellt er sein Wissen nun in den Dienst der Produktentwicklung.

Die vom Beuth-Ausschuss zu beurteilende Dissertationsarbeit „Auswirkung des Werkstoffverhaltens auf die rechnerisch ermittelte Belastbarkeit der Schiene” wurde an der Fakultät „Verkehrs- und Maschinensysteme” der TU Berlin erstellt. Sie stellt insofern ein Novum dar und hebt sich von typischen Dissertationen ab, als sie erstmalig die Fachgebiete Kontaktmechanik und Werkstoffwissenschaften verknüpft und damit die theoretische Betrachtung an den real vorkommenden Randschichtveränderungen auf Plausibilität prüft.

Mit der wirtschaftlichen Notwendigkeit, Verkehrsleistungen auf der Schiene heute mit im Vergleich zu früher höheren Fahrgeschwindigkeiten und größeren Achslasten erbringen zu müssen, geht die verstärkte physikalische Beanspruchung des Rad-Schiene-Kontakts einher. Durch die raschere Rollkontaktermüdung entstehen den Bahnen überall hohe Instandhaltungskosten. Zwar sind die Bahnbetreiber bemüht, diesem Umstand mit verstärktem Aufwand in den Schienenpflege und verbesserten Inspektionstechniken zu begegnen. Eine gezielte Bekämpfung der Rollkontaktermüdung war mangels ausreichender Ursachenforschung jedoch noch nicht möglich. Genau hier setzt die Arbeit von Herrn Dr. Böhmer an: Durch die umfangreiche kontaktmechanische Betrachtung des Rollkontakts werden Grundlagen geschaffen, die Erklärungen der real beobachteten Werkstoffveränderungen der Schienenlauffläche erlauben bzw. bisherige Modelle ausschließen. Dabei hat Herr Dr. Böhmer ein ganzes Kapitel seiner Arbeit der plastischen Deformation und dem Einspielverhalten des Materials gewidmet. Seine Recherchen haben gezeigt, dass die heutigen Schienenstähle kaum in ihren mikromechanischen Eigenschaften charakterisiert sind. Für Schienenhersteller ergeben sich damit auf der von Herrn Dr. Böhmer erarbeiteten Grundlage sehr gute Anknüpfungspunkte für die künftige gezielte Entwicklung von Schienenmaterial.

Darüber hinaus ist die wissenschaftlich anspruchsvolle Arbeit aber auch wegweisend bezüglich der Erarbeitung von wirtschaftlich bedeutsamen Grundlagen für das System Bahn. Zum einen unterlegen die gewonnenen Erkenntnisse die heute geltenden Empfehlungen in der Schienentechnik wie Schienenschleifen oder präventives Schleifen. Zum anderen gibt die Arbeit aber auch wichtige Hinweise für den künftigen Handlungsbedarf der mit der Thematik befassten Institutionen wie Bahnen, Industrie und Forschungseinrichtungen. So wurde die Theorie des Flüssigkeitseinschlusses im Riss kontrovers diskutiert. Hier können die Bahnen mit der Beobachtung der Rollkontaktermüdung in Tunneln Beiträge zum weiteren Erkenntnisgewinn leisten, gleichzeitig aber auch durch gezielte Schienenpflege das Risswachstum minimieren, so dass die Schienenlebensdauer steigt.

Einen wertvollen Beitrag für die heutige Schienenpflege und künftige Entwicklungen leistete auch die Diskussion der Auswirkungen von unterschiedlich harten und dicken Randschichten sowie deren Beständigkeit und Stabilität hinsichtlich Rissbildung und Haftverbund mit dem Grundwerkstoff. Bislang galten die „Weißen Schichten” in der Lauffläche als wirksamer Selbstschutz des Stahls gegen hohe Belastung, wenn auch ab einer bestimmten Stärke der Schicht mit Rissnetzen und Ausbrüchen zu rechnen war. Solange keine Verriffelung erkennbar war, war ein komplettes Entfernen der Schicht in der Bahntechnik umstritten. Aufgrund der Erkenntnisse von Herrn Dr. Böhmer kann nunmehr gesagt werden, dass die notwendige Unterschleiftiefe so zu wählen ist, dass die Schicht komplett entfernt wird. Einen weiteren wichtigen Impuls für künftige Arbeiten der Bahnen lieferte die Betrachtung der Antriebskonzepte von Zügen, insbesondere im Hinblick auf die Rollkontaktermüdung und die Randschichttemperatur. Hier sollte die Deutsche Bahn versuchen, die Erkenntnisse für die Strecke Köln-Rhein/Main nutzbar zu machen und einzuordnen.

Insgesamt ist die vorliegende Arbeit als wichtige Grundsatzarbeit zu bewerten, da sowohl Bahn als auch Industrie auf die dort festgehaltenen Erkenntnisse aufbauen können. Positiv ist dabei insbesondere der neue Denkansatz mit der gesamtheitlichen Betrachtung von Kontaktmechanik und Werkstoffwissenschaften zu werten. Für die Ursachenermittlung heutiger Kostentreiber sind die Ausführungen von Herrn Dr. Böhmer wegweisend. Damit hebt sich seine Dissertation deutlich von anderen guten Hochschularbeiten ab.

Lieber Herr Dr. Böhmer, Sie haben Ihrer Arbeit die Worte „panta rhei”, zu deutsch „Alles ist im Fluss” nachgestellt. Sollten Sie mit dieser Kurzzusammenfassung der Lehre Heraklits auf das Werden und Wandeln in der Wissenschaft abgehoben haben, so kann ich Ihnen heute sagen, dass Sie dieses mit Ihrer Arbeit ein Stück voran gebracht haben. Ihre Arbeit hilft Bahnen und Industrie dabei, für den wirtschaftlichen Erfolg des Gesamtsystems Bahn weiterzudenken. Nachdem Sie schon während Ihres Studiums verschiedene Auszeichnungen für hervorragende Leistungen erhalten haben, freue ich mich deshalb, Ihnen heute den Beuth-Preis sowie die Beuth-Medaille verleihen zu können. Im Namen des Beuth-Ausschusses danke ich Ihnen für Ihre herausragende Leistung, mit der Sie gleichermaßen Engagement, hohe Kompetenz und ein analytisches Verständnis der behandelten Thematik unter Beweis gestellt haben!

 
 



 

Bibliografische Angaben zur Veröffentlichung der Dissertation und stichwortartige Inhaltsangabe
 

Bibliografie und Kurzfassung
 
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