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Laudatio für Dipl.-Ing. Gerhard Scholtis
 
Rede von Herrn Dr.-Ing. Ansgar Brockmeyer, Mitglied des Beirats der DMG, auf der DMG-Jahrestagung in Bremen am 12. Nov. 2010 anlässlich der Verleihung der Beuth-Ehrenmedaille
 

 
Lieber Herr Scholtis,
liebe Frau Scholtis,
sehr geehrter Vorstand,
liebe Mitglieder und Freunde der Deutschen Maschinentechnischen Gesellschaft,
 
um es gleich vorwegzunehmen: Die DMG hat einen neuen Beuth-Ehrenpreisträger. Der Vorstand hat Herrn Dipl.-Ing. Gerhard Scholtis ausgewählt, dessen ganzes Wirken bis heute der Eisenbahntechnik gegolten hat. Angefangen von den Studien der Elektrotechnik in München, die er mit einem hervorragenden Diplom abschloss und in denen er die besten Prüfungsergebnisse in den beiden Eisenbahnfächern erzielte. Im ehemaligen Ausbesserungswerk München-Freimann absolvierte er Praktika und durfte bei Größen wie Prof. Dr. Theodor Vogel lernen. Dieses erworbene Wissen war und ist sein unerschöpflicher Fundus bis hin zu seiner Zeit als Pensionär, in der er sich in verschiedenen Verbänden und Institutionen – nicht zuletzt der DMG – weiterhin intensiv um die Bahn bemüht hat.
 
Nun bat mich der Vorstand der DMG, heute Abend in diesem Rahmen die Laudatio auf Herrn Dipl.-Ing. Gerhard Scholtis zu halten. Das ist für mich natürlich eine große Ehre. Nun sind Herr Scholtis und ich uns bei Siemens nie persönlich begegnet. Genau einen Monat, bevor ich als junger Ingenieur eingetreten bin, ist Herr Direktor Scholtis in den Ruhestand gegangen. Deshalb beruht alles, was ich Ihnen im Folgenden berichte und vortrage, auf den Schilderungen anderer – nämlich seiner ehemaligen Kollegen und Mitarbeiter.
 
Und da sind wir schon beim ersten Thema, das an dem Schaffen von Herrn Scholtis beeindruckt. Das ist die Begeisterung. Begeisterung für das Bahngeschäft, Begeisterung für die Technik und Begeisterung für die Zusammenarbeit im Bahnbereich. Und diese Begeisterung können Sie heute noch sehen, wenn Sie in die Augen der früheren Mitarbeiter und Kollegen von Herrn Scholtis sehen. Ich habe mit vielen Mitarbeitern und Kollegen, verteilt über alle Kontinente, von Russland über Europa bis Nordamerika, gesprochen. Und alle sagen: „Ja, der Herr Scholtis, das war noch einer, mit dem war es eine Freude zu arbeiten! Der hat sowohl Kunden als auch Mitarbeiter motiviert und begeistert.” Und das sehen Sie heute noch, 14 Jahre nach dem Eintritt in den Ruhestand.
 
Warum betone ich das so? Zum einen natürlich, weil sich das sicher jeder von uns wünschen würde, dass so von uns nach vielen Jahren noch gesprochen wird. Aber noch viel wichtiger ist, dass uns Ingenieuren das Arbeiten mit Menschen, das Kommunizieren, das Motivieren und Führen nicht unbedingt in die Wiege gelegt wurde. Wir denken in Zahlen, Schaltplänen, Konstruktionszeichnungen und Ablaufdiagrammen; und das ist das, was wir auf der Universität lernen. Und insofern ist es sicher eine ganz besondere Auszeichnung, wenn jemand wie Herr Scholtis nicht nur seine Technik brillant beherrscht, sondern wenn er auch noch andere davon überzeugen und sie begeistern kann. Soweit also zu meinem ersten Punkt. Der Begeisterung und der besonderen Fähigkeit, Menschen zu motivieren.
 
Wenn wir weiter gehen, dann müssen wir nun aber noch zur Technik kommen. Und die Technik, mit der Herr Scholtis am tiefsten verwachsen war und ist, ist die des Nahverkehrs, der Straßen- und U-Bahnen. Und wenn wir uns gleich ansehen, welche Entwicklungen Herr Scholtis da besonders geprägt hat, müssen wir uns vergegenwärtigen, in welchem zeitlichen Umfeld das erfolgte: Herr Scholtis ist 1961 in das Unternehmen eingetreten; 1970 zum Oberingenieur ernannt worden und 1983 zum Direktor. Das war wahrscheinlich keine Zeit, in der man der Straßenbahn und überhaupt der Eisenbahn freundlich gesinnt war.
 
Wenn heute in Zeiten des Klimawandels viele von der Rückkehr der Straßenbahn reden und dies – siehe Hamburg – auch tatsächlich passiert. Wenn heute einige meinen, mit der elektrischen Antriebstechnik im Stadtverkehr alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen zu müssen und dies Elektromobilität zu nennen, dann war das damals anders: In den 60er Jahren begann das massenweise Sterben des Schienenverkehrs, und eine Stadt nach der anderen stellte auf Busbetrieb um. Eine gewisse positive Dynamik gab es nur im Bereich der U- und Stadtbahnen, weil man der Meinung war, dass die störenden Eisenbahnen ja zumindest unter der Erde kein Hindernis für die Autos mehr sind. Und in dieser Zeit arbeitete ein zunächst kleiner und dann immer größer werdender Stamm von Überzeugungstätern in Erlangen unter Leitung von Herrn Scholtis an moderner Antriebstechnik für elektrische Bahnen. Lassen Sie mich da einige wichtige Stationen erwähnen:
 
Mitte der
60er
erste elektrische Vielfachsteuerung Simatic G, auch schwarze Simatic genannt. Diese Steuerung erlaubte erstmals die Steuerung von Zugverbänden von einem Führerstand. Sie kam in Stadtbahnfahrzeugen in Hannover, Frankfurt und Mülheim zum Einsatz.
 
1970 erste Gleichstromsteller zur verlustfreien Spannungsverstellung. Zunächst wurde eine Werklok der VAG Nürnberg damit ausgerüstet, später erhielten die Straßenbahnen in Graz und die Wuppertaler Schwebebahn solche Stromrichter, Herr Scholtis prägte diese Welt, damals noch unter Leitung des langjährigen DMG-Vorsitzenden Erich Houzer.
 
1975 begann dann die Entwicklung der Drehstromtechnik, deren Ziel es war, den verschleißbehafteten Kommutator der Maschine zu ersetzen.
 
1978 war es dann soweit: die erste serienmäßige Straßenbahn mit Drehstromantrieb wurde an die Stadt Mülheim geliefert. Mit Sibas 16, Drehstromfahrmotor als Längsmotor , I-Umrichter.
Im gleichen Jahr dann noch die Lieferung des ersten U-Bahn Wagens mit Drehstromantriebstechnik in Österreich an die Wiener U-Bahn.
 
Und gestatten Sie mir, nochmals in Erinnerung zu rufen, welche Zeit das damals war: Beginnender Strukturwandel im Ruhrgebiet, Zechensterben, Stahlkrise, Arbeitslosigkeit – Themen, die im beschaulichen Erlangen sicher keine so große Rolle spielten. Und dieser Erlanger Scholtis und seine Kollegen führen in dieser Zeit die größte Innovation der Bahntechnik mitten in diesem brodelnden „Pott” ein. Das ist eben wieder nicht nur Technik, das ist Begeisterung. Und das sind gute Kontakte, hier insbesondere zum damaligen Rheinbahn-Chef, Herrn Scheucken.
 
Die Begeisterung ging dann nicht nur in Deutschland, sondern zusammen mit der Duewag in der ganzen Welt weiter. Nachdem 1977 bereits die ersten Bahnen vom Typ U2-Frankfurt nach Edmonton geliefert worden waren, folgten 1988 in Alberta/Calgary die ersten Wagen mit Drehstromtechnik auf dem nordamerikanischen Kontinent.
 
Mit diesen Projekten wurde der Grundstein für die Rückkehr der Straßenbahn in den nordamerikanischen Raum gelegt. Heute dürfen wir, Herr Scholtis, die Früchte Ihrer Pionierarbeiten ernten und sind Marktführer – zumindest in Nordamerika!
 
In den 90er Jahren begann dann unter Führung vom VÖV (Verband Öffentlicher Verkehrsbetriebe) – heute VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) die Entwicklung der Niederflurtechnik. Zunächst als 70%-NF-Wagen und schließlich als 100%-NF-Wagen. So war der R-Wagen in Frankfurt das erste Siemens/Duewag-Fahrzeug mit 100%-Niederflur-Technik. Dann auch schon mit IGBT-Umrichtern und den inzwischen etwas kritisch beäugten Radnabenmotoren.
 
In dieser Zeit begann dann auch, verbunden mit der Bahnreform und Umstrukturierung der Deutschen Bundesbahn, die Konsolidierungswelle in der Bahnindustrie. Während dieser Entwicklung hat Herr Scholtis die Zusammenarbeit mit der Duewag weiter ausgebaut, bis sie dann schließlich von Siemens übernommen wurde und Herr Scholtis in ihren Vorstand einzog.
 
Leider ist nun diese Geschichte der Duewag-Integration keine durchgängige Erfolgsgeschichte und insofern dürfen wir heute nicht nur Lorbeeren ernten, sondern müssen auch noch einige Scherben aufräumen. Aber diese Geschichte ist eine andere Geschichte und sie hat in Summe auch nichts mit Herrn Scholtis zu tun.
 
Insofern lassen Sie mich abschließend meinen Dank und meine große Anerkennung aussprechen für Herrn Dipl.-Ing. Gerhard Scholtis, der die Entwicklung des elektrischen Nahverkehrs entscheidend gestaltet und vorangetrieben hat, indem er seine Mitarbeiter und mit ihnen seine Kunden begeisterte!
 
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