[HomeArchivBeuth-Innovationspreis 2014Laudatio für Dr. Rowas und Dr. Schwickert] |
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Laudatio anlässlich der Beuth-Preisverleihung 2016 |
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Rede von Herrn Dipl.-Ing. Hans Peter Lang, Vorsitzender des Beuth-Ausschusses der DMG, auf der DMG-Jahrestagung in Köln am 14. Okt. 2016 anlässlich der Verleihung des Beuth-Innovationspreises 2015 |
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass es diesmal zwei Arbeiten zu prämieren gibt. Zunächst möchte ich Ihnen die Dissertation von Herrn Dr. Jochen Rowas vorstellen. Ein wesentlicher Vorteil des schienengebundenen Verkehrs ist die positive Umweltbilanz. während im Automobilsektor Elektromobilität als herausragende Innovation gepriesen wird, verkehren Schienenfahrzeuge bereits seit mehr als einhundert Jahren elektrisch. Und während im Automobilbereich durchaus Emotionen, aber auch massive staatliche Förderung die Entscheidung für elektrische Antriebe beeinflussen, wird im Eisenbahnsektor nüchterner entschieden. Die weitere Elektrifizierung des Streckennetzes erfolgt auf der Grundlage nachvollziehbarer Entscheidungskriterien und ökonomischer Überlegungen. Während aber die Kosten für die Elektrifizierung, für die Anpassungen der Infrastruktur und die Bereitstellung der elektrischen Energie noch eindeutig greifbar sind, stellt die Berücksichtigung ökologischer Faktoren schon eine Herausforderung dar. Dieser Herausforderung hat sich Herr Dr. Rowas mit seiner Arbeit „Ökologischer Einsatz der Traktionsarten im System Bahn” gestellt. Ob die Elektrifizierung einer Strecke oder eines Teilnetzes langfristig sinnvoll ist, bedarf also klarer Entscheidungskriterien, die wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftspolitische Aspekte berücksichtigen und die Entwicklung nachvollziehbar und transparent gestalten. Natürlich gab es auch bislang Bewertungsverfahren. Sie sind aber vor allem verkehrlich, investitions- und betriebskostenorientiert und berücksichtigen nicht alle Vorteile der E-Traktion. So wird bei klassischen Verfahren beispielsweise die Rückspeisung elektrischer Energie beim Bremsen nicht berücksichtigt. Herr Dr. Rowas hat nun mit seiner Arbeit ein Verfahren zum Vergleich der Traktionsarten vorgelegt, das neben den klassischen ökonomischen Kriterien auch die ökologischen Aspekte in gebührender Weise in eine Entscheidung einbezieht. Dieser gesamtheitliche Ansatz bewertet den ortsbezogenen Schadstoffausstoß, die Lärmwirkungen, den Ausstoß klimaschädigender Abgase, aber auch technische und betriebliche Aspekte wie die Rekuperation, die Wirkungsgrade der Dieselantriebe in unterschiedlichen Laststufen und so weiter. Es werden also nicht nur die durch die Örtlichkeit geprägten Investitionskosten auf die konkrete Strecke bezogen, auch die ökologischen Effekte werden ortsbezogen ermittelt und damit für Betreiber und Anwohner gleichermaßen greifbar. Was bei der Lektüre der Dissertation beeindruckt, ist der außergewöhnliche Fleiß, mit dem dieses Thema bearbeitet wird, die Detailtiefe, mit der die Beurteilungskriterien unterlegt werden. Ich möchte Ihnen nun einen kurzen Überblick über den Inhalt der Dissertation verschaffen. Das hier entwickelte Vergleichsmodell für den ökologischen Einsatz der Traktionsarten baut auf der Kosten-Nutzen-Analyse und dem Life-Cycle-Kosten-Vergleich auf. Es wird auf ganze Streckennetze, Einzel- und Stichstrecken oder auf Lückenschlüsse im elektrisch betriebenen Netz angewendet. Die Arbeit ist klar strukturiert und logisch aufgebaut. Zunächst werden die technischen Kriterien beschrieben, sie sind auch die Grundlage für ökologische Kriterien. Zu den technischen Kriterien zählen Fahrdynamik, Energieverbrauch und Emissionswerte, aber auch der traktionsartbedingte Infrastrukturbedarf. Dabei werden für Fahrdynamik, Energie und Emission jeweils eigene Rechenprogramme erstellt. Anschließend werden betriebliche Kriterien in ihrer Auswirkung auf die konkrete Strecke in das neue Vergleichsmodell integriert. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit liegt auf Bestimmung und Hinterlegung der ökologischen Kriterien, hier liegt der wesentliche Unterschied zu konventionellen Beurteilungsverfahren. Viel Mühe verwendet Herr Dr. Rowas auf die Ermittlung der traktionsspezifischen Emissionen. Dabei werden bei der E-Traktion auch der derzeitige und zu erwartende Energiemix bei der Strombereitstellung und die Verluste in der Energieübertragungskette berücksichtigt. Die Emissionen der Dieseltraktion wiederum werden unter Beachtung der Fahrprofile der jeweiligen Raumstruktur zugeordnet. Für jede zu untersuchende Strecke wird ein Streckenband mit Angabe der räumlichen Struktur, also bebaut oder unbebaut, erstellt. Zusammen mit den Daten aus Betrieb und Trassierung wie Beschleunigung, Beharrung oder Rekuperation, je nach Steigung und Geschwindigkeit, werden die Schadstoffemissionen ermittelt und lokal zugeordnet. In gleicher Weise wird mit den traktionsartspezifischen Lärmemissionen verfahren. Neben diesen schon klassischen ökologischen Kriterien „Schadstoffemission” und „Lärm” diskutiert Herr Dr. Rowas auch den Einfluss elektromagnetischer Umweltbeeinträchtigung und Feinstaubbelastung, z. B. durch den Abrieb im Kontaktbereich Stromabnehmer – Fahrleitung, auf eine Gesamtbewertung. Alle vorgenannten Kriterien werden dann einer ökonomischen Bewertung unterzogen. Hierbei werden erstmals auch Life-Cycle-Kosten erfasst. Schwierig ist dabei die Prognose der Energiekosten sowohl für Diesel wie auch für elektrische Energie – aber dies gilt für alle Vergleichsverfahren. Die Beschreibung des Formelwerkes, mit dem als Ergebnis ein Kosten-Nutzen-Faktor für die jeweilige Traktionsart und für die konkrete Strecke ermittelt wird, schließt sich an. Kosten und Nutzen aller Vergleichskriterien des Diesel- und des E-Betriebes werden transparent dargestellt. Das Ergebnis eines Vergleiches wird einerseits in Form von verkehrsleistungsabhängigen Diagrammen dargestellt, aus denen ersichtlich ist, ab welcher Verkehrsleistung die E-Traktion wirtschaftlicher ist. Ein strecken- und betriebsabhängiges Diagramm zeigt zusätzlich für eine spezifische Strecke und für das konkrete Betriebsprogramm die abschließende Bewertung. Anhand zunächst theoretischer und dann einiger konkreter Anwendungsfälle wird die Aussagekraft des neu entwickelten Verfahrens dargestellt. Meine Damen und Herren, nicht immer ist die elektrische Traktion aus ökonomischer und ökologischer Sicht die
günstigste Lösung. Auch dies kann das Ergebnis einer Vergleichsbetrachtung sein. Hierfür einen alle relevanten
Entscheidungskriterien umfassenden Vergleich zu führen, der dabei auch Aspekte einer gesellschaftlichen Diskussion
über zumutbare Verkehrsbelastung umfasst, ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Herr Dr. Rowas hat mit seiner Dissertation hierfür ein Verfahren entwickelt, das
die komplexe Materie beherrschbar macht. Dafür verdient er den Dank des Eisenbahnsektors und den Preis des
Beuth-Ausschusses. |
Ich möchte mich nun der zweiten von uns prämierten Arbeit zuwenden, der von Herrn Dr. Martin Schwickert vorgelegten Dissertation mit dem Titel „Entwicklung einer Methode zur effizienten Durchführung von Mehrkörpersimulationen variantenreicher Produkte am Beispiel eines Modellbaukastens für Niederflurstraßenbahnen”. Ein langer Titel – und ein komplexes Thema. Zunächst erlauben Sie mir einige Anmerkungen zum Hintergrund der Arbeit. Straßenbahnen weisen eine enorme Bauartvielfalt auf. Im Zuge der Renaissance der Straßenbahnen ab Anfang der neunziger Jahre entwickelten die Hersteller eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte für die sehr verschiedenen Bedürfnisse der Betreiber, die teilweise durch die lokalen Gegebenheiten der Infrastruktur, aber auch durch sehr spezifische Anforderungen der Besteller geprägt sind. Wegen dieser sehr großen Palette an Fahrzeugkonzepten verlangen die Betreiber von den Herstellern bereits im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens den Nachweis der Tauglichkeit eines angebotenen Fahrzeuges. Geeigneterweise wird dieser Nachweis mittels Simulation erbracht. Bei der Vielzahl zu untersuchender Varianten ist dies allerdings sehr aufwendig. Sowohl im Hinblick auf Zeit wie Kosten. Und dabei ist gerade in der Konzeptphase eine Überprüfung der Eignung eines angebotenen Fahrzeugtyps entscheidend für die Vermeidung teurer Fehlentwicklungen. Genau hier setzt die Arbeit von Herrn Dr. Schwickert an. Es ist das Ziel, die Mehrkörpersimulation bereits in der Konzeptphase und dann begleitend bis zur Detailausarbeitung in der Entwicklungsphase in effizienter Weise einzusetzen. Der Weg dahin ist der Aufbau eines Modell-Konfigurationsbaukastens mit vorkonfektionierten Mehrkörpermodellen, die projektspezifisch parametriert werden können. Die Dissertation von Herrn Dr. Schwickert ist klar gegliedert. Zunächst wird eine Definition des Begriffes „Niederflur” gegeben und es werden im Rahmen der Darstellung des Standes der Technik existierende Niederflurkonzepte und Fahrzeugkonfigurationen vorgestellt. Dabei nimmt die Beschreibung der Fahrwerkskonzepte breiten Raum ein, was auch dadurch gerechtfertigt ist, dass die Fahrwerke die klassischen Bewertungskriterien wie Verschleißverhalten, Spurführungseigenschaften, Komfort und Hüllraumausnutzung maßgeblich bestimmen. Deshalb werden auch die Grundlagen der Spurführungstechnik und die für den Betrieb von Straßenbahnen relevanten Randbedingungen wie Trassierung und Gleislagequalität ausführlich beschrieben und mit Hinweis auf die entsprechenden Regelwerke versehen. Grundlage des von Dr. Schwickert entwickelten Modellbaukastens ist die Mehrkörpersimulation auf Basis des in der Schienenfahrzeugbranche weit verbreiteten Programmpaketes „Simpack”. Die Stärke eines Simulationsbaukastens liegt in einem schnellen Modellaufbau auch komplexer Fahrzeugstrukturen, der aus modular vordefinierten Substrukturen erfolgt. Dies ist gerade dann entscheidend, wenn in einer sehr frühen Projektphase auf simulationsgestützte Informationen zurückgegriffen werden muss, um gerade in der Vorphase der eigentlichen Entwicklung die Gefahr von Fehlentwicklungen zu begrenzen. Das Konzept des von Dr. Schwickert entwickelten Modell-Konfigurations-Baukastens basiert auf dem eigentlichen Modellbaukasten, mit dem sich unterschiedliche Fahrzeugkonzepte abbilden lassen, und dem sogenannten Modell-Konfigurations-Tool, mit dem der Anwender über eine grafische Benutzeroberfläche kommuniziert und so einerseits den Modellaufbau wie auch Simulation und Auswertung steuert. Wagenkastenmodule, Gelenkmodule, Fahrwerkmodule und unterschiedliche Spurführungskonzepte prägen den Modellbaukasten und ermöglichen die Untersuchung einer Vielzahl von Fahrzeugkonzepten. Eine Beschreibung der Schnittstellensystematik, also der Verbindung unterschiedlicher Module zu einem Fahrzeugmodell, der Parametrierung und der Möglichkeit zur eigenständigen Erweiterung des Baukastens verschaffen dem Leser einen guten Einblick in den Aufbau des Modellbaukastens und die Möglichkeiten seiner Anwendung. Anschließend wird die konkrete Anwendung des Simulationsbaukastens für drei der aktuell gängigsten Niederflurfahrzeugkonzepte vorgenommen. Für jedes der drei Fahrzeugkonzepte wird ein Modell aufgebaut, die für den Vergleich relevanten Fahrszenarien werden festgelegt und dabei wird jeder Schritt sorgsam erläutert. Anhand von Zeitschrieben als erstem Simulationsergebnis erfolgt eine erste Ergebnisdiskussion. Bewertungskriterien machen dann die Konzeptunterschiede vergleichbar. Eine unterschiedliche Gewichtung dieser Kriterien ermöglicht eine Beurteilung „aus Sicht des Herstellers” oder „des Betreibers”. Dies rundet die Arbeit ab, der Bogen von der Idee bis zum Ergebnis ist geschlossen. Fazit: Eine herausragende Arbeit, gut lesbar, klar gegliedert und vom Ergebnis her ein wertvoller Beitrag zur
effizienten Nutzung der Simulation im Gesamtprozess der Fahrzeugentwicklung – von der Konzeption bis zur
Detailausarbeitung. Würdig des Beuth-Preises und würdig der Beuth-Medaille.
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Die Dissertation von Herrn Dr.-Ing. Rowas entstand während seiner Tätigkeit als Akademischer Mitarbeiter am Bereich Schienenfahrzeugtechnik des Instituts für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart und wurde betreut von Herrn Prof. Dipl.-Ing. Dieter Bögle, dem Leiter des Bereichs. Tag der mündlichen Prüfung war der 18. Nov. 2014. Mitberichter waren Herr Prof. Dr.-Ing. Jochen Wiedemann und Herr Prof. Dr.-Ing. Peter Gratzfeld. Die bibliografischen Angaben sind: |
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